Grundlagen des Obstbaumschnitts

Unsere Obstbäume sind in der Regel menschengemachte Kulturpflanzen, die ohne geeignete Pflege nicht die Leistung erfüllen könnten, die wir gerne von ihnen hätten!

  • Aufbau eines stabilen Traggerüstes, das hohem Fruchtbehang und Schneedruck standhalten kann
  • Bei sachgerechtem Schnitt kann ein früherer Ertragsbeginn erreicht werden
  • Die Fruchtqualität steigt durch bessere Belichtung im Baum
  • Durch den Schnitt werden die Bäume vital gehalten. → langlebigere, leistungsfähigere Bäume
  • Die Ernte sowie die Pflegemaßnahmen werden erleichtert
  • Ernteschwankungen können abgemildert werden

Winterschnitt:

  • Von ca. Mitte Januar bis Mitte / Ende März.
  • Kern-, Stein- und Beerenobst
  • Nicht bei Temeperaturen < -5° C

Sommerschnitt:

  • Bei allen Obstarten möglich!
  • Jungbäume, Spaliere, Spindel (Juli – Mitte August)
  • Nachschnitt (stark) verjüngter Bäume (Juli)
  • Kirschen – zur oder kurz nach der Ernte
  • Walnussbäume – im Frühherbst

Aufbau eines optimal erzogenen Obstbaums

Der Obstbaum von unten nach oben

  • Die Wurzelunterlage bestimmt maßgeblich die Wuchsstärke des Baumes. Es gibt sie von sehr schwach wachsend (M27) z.B. für Topfbäume bis stark wachsend (A2, Sämling) für Hochstammbäume auf Obstwiesen.
  • Die Veredlungsstelle muss sich immer oberhalb des Bodens befinden
  • Der Stamm wird vom Boden bis zum ersten (Leit-)ast gemessen (1).
  • 3-4 Leitäste  (2) ergeben mit der Stammverlängerung (5) die Krone des Baumes
  • An den Leitästen werden Fruchtäste (3) belassen, die das feinere Fruchtholz tragen.
  • An der Stammverlängerung, oberhalb der Leitäste werden nur flach stehende Fruchtäste (3) zugelassen

Grundsatz:
Jeder Leitast sowie die Stammverlängerung haben nur EINE Spitze. Alle anderen Äste müssen diesen untergeordnet werden!

Wuchsgesetze

Alle Obstbäume unterliegen bei ihrem Wachstum einer Gesetzmäßigkeit. Ohne deren Kenntnisse ist ein sinnvoller und zielgerichteter Obstbaumschnitt nicht möglich!

Die Spitzenförderung (Akrotonie, Apikaldominanz)

Die obersten Knospen eines steil stehenden Triebes treiben vorrangig aus. Durch die Bildung des Pflanzenhormons Auxin werden die weiter unten stehenden Triebe im Wachstum gehemmt.

Spitzenförderung

Oberseitenförderung (Epitonie)

Die auf der Oberseite eines waagrecht stehenden Astes liegenden Knospen treiben vorrangig aus.

Oberseitenförderung bei einer Birne

Scheitelpunktförderung (Mesotonie) 

Bei einem abhängenden Ast treiben die Knospen am Scheitelpunkt, dem am höchsten liegenden Punkt am stärksten aus. Dies führt zur so genannten

Fruchtbogenbildung

Die unterschiedlichen Triebarten

Für eine sinnvolle Obstbaumpflege ist es wichtig, die Triebarten an den Obstbäumen zu kennen und zu erkennen.

Am 1-jährigen Trieb (Langtrieb) befinden sich in der Regel nur Blatt- bzw. Holzknospen. Ein Anschneiden solcher Triebe führt immer zu einem (starken) Holzaustrieb. Werden diese Triebe nicht angeschnitten, bilden sich im Folgejahr kleine Fruchtsprosse, die in der Regel eine Blütenanlage tragen. Das heißt, dass unsere Obstbäume am 2-jährigen Holz Früchte zu tragen beginnen.

Die Triebentwicklung

Fruchtsprosse bilden sich an einem Langtrieb im zweiten Jahr, In der Regel sitzt an deren Ende eine Blütenknospe.

Es können sich auch so genannte Fruchtspieße bilden. Manchmal entstehen diese auch als vorzeitige Triebe am einjährigen Holz.

Fruchtruten werden auch als Kurztriebe bezeichnet, Sie sind länger als die Fruchtspieße. Die Blattknospen sind weiter verteilt.

Aus den Fruchtsprossen des zweijährigen Holzes entstehen in den Folgejahren oft so genannte Ringelspieße

Oft werden an den Stellen, an denen eine Frucht saß, verdickte Abschnitte gebildet, diese werden Fruchtkuchen genannt.

Das einfache Fruchtholz verzweigt sich mit den Jahren weiter.  Dadurch entsteht das Quirlholz. 

Schnittgesetze

  • Ein starker Rückschnitt führt zu einem starken Austrieb

  • Ein schwacher Rückschnitt führt zu einem schwachen Austrieb

  • Ein ungleichmäßiger Rückschnitt führt zu einem ungleichmäßigen Austrieb

Schnitttechnik

Rückschnitt auf Auge (Knospe)

Bei einem Rückschnitt auf Auge, also einer Knospe, ist darauf zu achten, dass möglichst nah an die Knospe geschnitten wird, ohne diese zu verletzen. 

Nur während des Erziehungsschnitts werden die Leitäste und evtl. die begleitenden Fruchtäste auf ein Auge zurück geschnitten.

Der Rückschnitt fördert die Stabilisierung des Astes und sorgt für einen Austrieb.

optimaler Schnitt über einer Knospe
zu wenig
zu viel und zu schräg
richtig

Besonderheit beim Erziehungsschnitt von Leitästen:
Der "Innenaugenschnitt" (Rückschnitt auf eine nach innen zum Stamm weisende Knospe)

Es ist möglich, dass bei einem Rückschnitt auf eine Knospe der gewünschte Austrieb unzureichend erfolgt oder die Knospe verloren geht.

Um den Austrieb der nach außen weisenden Knospe zu schützen, ist es von Vorteil, wenn auf die nächst höhere, nach innen weisende Knospe zurückgeschnitten wird.

Stellung der Knospen am einjährigen Trieb
gewünschte Knospe
die nächst höhere, nach innen weisende Knospe
nach dem Schnitt

Auf Innenauge geschnittener Leitast im Folgejahr

Der Austrieb der "Innenknospe" muss im Sommer oder im Folgejahr entfernt werden
nach dem Schnitt

Wegschnitt - Schnitt auf Astring

An der Ansatzstelle eines Astes befindet sich eine deutlich sichtbare Verdickung, der Astring. Hier ist die optimale Stelle, einen Ast ganz zu entfernen.

Gut verheilende Sägewunde aufgrund sauberen Schnitts auf Astring. Der Neutrieb hilft bei der Überwallung
Komplett überwallte Sägewunde
1 - Unsauberer Schnitt - Probleme beim Überwallen 2 - gut verheilt, da auf Astring gesägt
Ein solcher Stummel kann nicht verheilen...

Weiterleiten auf einen schwächeren Ast

Das Weiterleiten (Ableiten) auf einen schwächeren (Versorgungs-) Ast ist eine sinnvolle Möglichkeit für eine Zurücknahme zu lang gewordener Äste oder für eine Höhenbeschränkung. Wichtig dabei ist, dass der schwächere Ast die neue Verlängerung des bisherigen Astes darstellt, in die ungefähre Wuchsrichtung des ursprünglichen Astes weisen muss. Der Durchmesser des Versorgungsastes sollte mindestens 1/3 des Durchmessers des weggesägten Astes betragen.

Vorgehen beim Absägen stärkerer Äste

Die einzelnen Schnittmaßnahmen

Erziehungsschnitt

1. Pflanzschnitt

Zeitpunkt: Unmittelbar nach der Pflanzung

  • 3-4 um den Stamm verteilte Leitäste auswählen (Abgangswinkel vom Stamm 90° – 60°)
  •  Streuung der Leitäste am Stamm (kein Quirl!)
  • Konkurrenztrieb (Afterleittrieb) und überzählige Triebe entfernen
  • Leitäste formieren (Aufbinden oder Abspreizen)
  • Rückschnitt der Leitäste um 1/3 bis 1/2 auf (nach außen weisende) Knospe
Abgangswinkel
Die Leitäste sollten möglichst gleichmäßig um den Stamm verteilt sein

Da bei einem Schnitt auf ein nach außen gerichtetes Auge diese Knospe oft unbefriedigend austreibt, eintrocknet oder erfriert, lieber auf das nächsthöhere, nach innen oder seitwärts gerichtete Auge anschneiden. Die gewünschte – äußere - Knospe treibt dann in der Regel kräftig aus. Auf diesen Austrieb wird dann beim folgenden (Sommer- oder Winter-) Schnitt zurückgeschnitten! („Schnitt auf Innenauge" )

  • die Stammverlängerung sollte ca. 20 cm (Scherenlänge) über den Leitästen auf eine Knospe angeschnitten werden
  • die nach innen gerichteten Knospen an den Leitästen sowie die unter der obersten Knospe stehenden 2-3 Knospen sollten ausgebrochen werden, damit sie erst gar nicht austreiben
Nach dem Pflanzschnitt (Abb. aus Heiner Schmid - Obstbaumschnitt, Ulmer Verlag)
Ausbrechen der "unerwünschten" Knospen mit dem Daumennagel

2. Schnitt nach dem ersten Standjahr

  • Konkurrenztriebe und unerwünschte (z.B. nach innen wachsende) Triebe entfernen – wenn keine Knospen im Vorjahr ausgebrochen wurden!
  • Gegebenenfalls „Innenaugen“-Austrieb wegschneiden 
  • Leitäste formieren
  • „Saftwaage“ der Leitäste möglichst beachten
  • Rückschnitt der Leitastverlängerungen um 1/3 bis 1/2 des Neutriebs
  • Rückschnitt der Stammverlängerung ca. 20 cm über den Leitästen
anzustrebende Saftwaage

Die Theorie der Saftwaage besagt, dass die Leitäste alle auf die gleiche Höhe angeschnitten werden sollen. Damit soll ein gleichmäßiger Austrieb aller Leitäste gewährleistet werden.
Einschränkung: Sind die Leitäste ungleichmäßig entwickelt, so würde durch einen Schnitt auf Saftwaage das Ungleichgewicht nur noch weiter gefestigt. Denn auf einen starken Rückschnitt erfolgt ein starker Austrieb und auf einen schwachen Rückschnitt erfolgt ein schwacher Austrieb! Der schwächer entwickelte Leitast muss also stärker zurückgeschnitten werden, der stärkere eher weniger bis gar nicht! Eventuell kann der schwächere Leitast vorübergehend auch steiler aufgebunden werden, um ihn zu bevorzugen.

3. Schnitt bis Ertragsbeginn (min. 6-7 Jahre)

  • Überflüssige Triebe entfernen
  • Fruchtäste an den Leitästen anbauen
  • Rückschnitt der Leitastverlängerungen und der Stammverlängerung
  • auf Saftwaage der Leitäste achten
  • Keine 2. Leitastserie einbauen – Stammverlängerung als Spindel erzeiehen. Das heißt nur flache Fruchtäste zulassen.
  • Im Normalfall werden die Fruchtäste NICHT auf Knospe angeschnitten
7 jähriger Zwetschgenhalbstamm vor dem Schnitt
... und danach. Beim Steinobst dürfen bis zu 5 Leitäste erzogen werden

Apfelbäume - Vorher - Nachher Beispiele

Erhaltungsschnitt (ehem. Instandhaltungsschnitt)

  • Leitäste nicht mehr anschneiden
  • Auslichten und Höhenbeschränkung
  • Seitenäste den Leitästen unterordenen
  • Saftwaage der Leitäste
  • Kronenüberbauung vermeiden! Stammverlängerung als Spindel!
  • Fruchtholzverjüngung
  • Abgesenkte Fruchtäste ableiten

Erneuerungsschnitt (ehem. Verjüngungsschnitt)

  • Leitäste und Mitte suchen und diese frei stellen
  • Einkürzen – auf günstig stehende Verlängerungen zurück nehmen
  • Fruchtholz auslichten und vereinfachen